Landshuter Zeitung

Presseecho in der Landshuter Zeitung vom 25.03.2003

Objektiv?

Anke Humpeneder

Der Künstler und Regisseur Edgar Honetschläger verarbeitet in seinen Filmen den Aspekt der Geschichtsfälschung in amerikanischen Propagandafilmen, die zurückgehen bis zu nachgestellten Szenen über Oppenheimer und die Zündung der ersten Atombombe in der Wüste. Die aktuelle Berichterstattung zum Thema Irak und die Tatsache, dass derartige Geschichtsfälschung überhaupt möglich ist, belegen, dass der fotografische Blick durchs Objektiv nur scheinbar neutral, unmanipulierbar und also "objektiv" ist.
 
Einer, der das schon lange wusste, ist Klaus von Gaffron, Münchener Fotokünstler und einer der versiertesten und erfahrensten Macher im bayerischen Kunstbetrieb. Er stellt seine neuesten Fotoserien derzeit in der Neuen Galerie auf der Landshuter Mühleninsel aus. Nichts dokumentieren sollen die großformatigen Bilder, nicht die andere Seite, die Seite vor der Kamera, sollen sie wiedergeben. Der Blick des Auges, das durch Gaffrons Kameraobjektiv blicken darf, verändert sich, verklärt sich, bekommt etwas Magisches. Ausschnitthaftigkeit, Unschärfe, Lösen aus Zusammenhängen und eine völlig ungewohnte Motivik sind die wesentlichsten Kennzeichen für Gaffrons Vorgehensweise. Solchermaßen entstandene Bilder ordnet er neu, arrangiert sie zu Tafeln und Tryptichen, erstellt neue Bezüge, weckt Assoziationen.
 
Beispiele? - Eine Lichtspiegelung an der Decke; der rissige Rumpf eines Falken, der als Fensteraufkleber Singvögel vor dem Aufprall bewahrt; Fernsehbilder, der Rand eines Vorhangs, ein Zipfel der Bettdecke oder eine Zimmerecke. Nicht wer am schnellsten erraten kann, welches Alltagsdetail sich jeweils in den Bildern Gaffrons verbirgt, hat den besten Zugang zu seinen Arbeiten. Um solchermaßen weiterzuhelfen, könnte der Künstler Titel vergeben. Gerade das aber liegt ihm fern. Seine Bilder fordern vielmehr die Fähigkeit zur Abstraktion vom Ursprungsgegenstand, zur Distanzierung von kryptischen Anspielungen und zum Zulassen können neuer Gedanken.
 
Die beiden langgestreckten Galerieräume des gotischen Stadels nutzt er für eine Zweiteilung seiner Ausstellung: Unten darf sich der Betrachter hineinfallen lassen in die Poesie weich fließender Formen, in das An- und Abschwellen von Linie und Kontur, in das Changement zwischen Klarheit und Unschärfe. Unten also darf sich der Geist treiben lassen hinein in die Bildwerke, die der Fotograf nicht zuletzt, durch den gezielten Einsatz geringer Tiefenschärfe erzeugte. Zu sehen sind eher surreal anmutende Spielereien, zu lesen ist nichts. Diesen Aspekt seiner Arbeit verlagert Gaffron auf das obere Stockwerk, wo sich die sonst als Einzelbilder oder in Dyptichen auftretenden großformatigen Arbeiten zur ganzen, wandfüllenden Bildtafel verdichten. Und, im Miteinander, auch zu Aussagen verdichten, sich lesen lassen.

Fernsehbilder vom 11. September montiert er zwischen Aufnahmen von Flugzeugen, lotsende Hände und eben jenem Plastikfalken aus Klebefolie, wie er große Fensterfronten höherer Häuser bewohnt. Mit angeschnittenen Flügeln, in der Sonne rissig geworden, kann er ebenso Assoziationen wecken an zerbrochene Friedenstauben: den Schutz vor dem Einschlag der ganz großen Vögel mochte er nicht zu leisten. Das aus zwanzig Einzelbildern zusammengesetzte Werk kommt in seiner Symmetrie, in der deutlichen Bildsprache, den sprechenden Gesten der Hände wie ein übergroßes Altarbild daher: wie dieses aber auch reichlich pathetisch. Freilich, der Name Gottes wird oft missbraucht seit dem 11. September. Und soviel Pathos wie in diesen Tagen über den großen Teich kommt, war nie. Muß sich aber ein Künstler der gleichen Mittel bedienen? Seine individuelle Antwort kann jeder in der Neuen Galerie finden. (Bis 30.März)