A rose is a rose is a rose oder: Ist es wirklich eine Rose?

Natur-Symbole in den fotografischen Arbeiten Klaus von Gaffrons
 
Petra Renkel
 
A rose is a rose is a rose - dieses Zitat von Gertrude Stein ist vielleicht eine der Assoziationen, mit denen sich der Betrachter einer 6teiligen Arbeit Klaus von Gaffrons nähert. Im Blick-Mittelpunkt steht eine einzelne Rosenblüte, deren zarter rosa Farbton durch einen Schatten unten links auf dieser Bildtafel und kräftige Grün-Töne der umgebenden Bildtafeln des Tableaus unterstrichen wird. Der Gesamtduktus der Arbeit ist zart, fast jungfräulich - und liegt nicht sogar eine Ahnung von Rosenduft in der Luft? Bei näherer Betrachtung und längerem Verweilen vor dem Bild gesellen sich zu dem insgesamt rosa und grün wirkenden Bild Gelb-Töne. Wie aus der Ferne erscheinen zwischen den zum Teil unscharfen, zum Teil scharfen Detailaufnahmen von Rosen kleine, komplett abgebildete Rosen mit Stiel, Blättern und Blüten, darunter verschwommene Bildunterschriften. Glaubte der Betrachter soeben noch an die fotografische Abbildung eines Rosenbeets, muss er sich nun mit dem Abbild eines Bildes einer Rose auseinandersetzen. Was ist dort wirklich zu sehen - ein Pflanzenlehrbuch mit Erläuterungen zu verschiedenen Rosenarten? Auf der Bildtafel unten rechts verdichtet sich die Schrift, die er nun versucht zu entziffern. Einzelne, aus der unscharfen Textmasse lesbare Wörter wie »kulturwürdig«, »Bilder«, »Sage«, »griechische Göttin« lassen ihn auch die Version Lehrbuch verwerfen - eine kulturphilosophische Abhandlung über Rosen?
Immer deutlicher und mit einem Mal sehr dominierend, nimmt er zudem mehrere Diagonalen wahr, die die Komposition des Tableaus neben der Farbigkeit rhythmisierend bestimmen. Die Diagonalen sind die Brüche, die Falze von aufgeschlagenem Papier. Mal erkennt man in den weichen Rundungen ein dickeres Buch. An anderer Stelle gibt es hässliche Brüche und maschinelle Klebebindungen, die z.B. an einen Gartenwerbeprospekt erinnern, wie er im Frühling über die Tageszeitung auf den Frühstückstischen landet. Derartig desillusioniert steht der Betrachter vor einem Scherbenhaufen seiner ersten Assoziationen: Die Rose ist keine Rose, er sieht die »Bilder« von Abbildungen von Rosen, es duftet nicht nach ihnen, allenfalls nach Druckerfarbe. Das romantische Schwelgen in rosaroten Liebesrosen-Erinnerungen ist abrupt unterbrochen. Das Wissen des in der abendländischen Tradition stehenden Bildungsbürgers um die Zuordnung der Rose als Symbol für die griechische Göttin Aphrodite ist angesichts der Banalität des Massenprodukts Werbeprospekt als wertlos überführt. Dornröschen wird hier nicht wachgeküsst, sondern wachgerüttelt: Schau her, das ist unsere Welt, ein von Werbung und Konsum geprägter Alltag, in dem die Versprechungen und Verlockungen in der Regel nicht aufgehen.
 
Die Werbefotografie spielt auch in anderen Arbeiten Gaffrons eine Rolle, so in der 5teiligen Arbeit von 1999, in der mit minimalen Variationen in drei Motiven eine junge Frau, die als Ausschnitt mit einem sinnlich geschwungenen Mund, einer nackten Schulter, auf der ihre mit einem rosa Handschuh bekleidete Hand ruht, abgebildet ist. Wie in dem mehrteiligen Rosenbild erkennt der Betrachter diesmal anhand der groben Rasterung auf der nackten Haut, dass es sich um vermittelte Realität, um das Bild eines Werbeplakats oder -prospekts handelt. Natur kommt in der Folge als Bildtapete einer asiatisch idealisierten Landschaft vor, die zusätzlich noch gespiegelt wird: deutlich ist die Lichtreflexion oben rechts zu erkennen. Ein kleines Rosengebinde und eine abgeschnittene, »gepflückte« Rose lassen an eine erotische Situation denken, die Landschaft als »locus amoenus« für das Stelldichein von zwei Verliebten. Aber die Natur ist nur noch als gespiegelte Fototapete gegenwärtig, und die vermeintliche Geliebte ist Fiktion der Werbung und könnte von jeder x-beliebigen Plakatwand an jedem Ort dieser Welt herunterlächeln.
 
Klaus von Gaffron überführt mit diesen und (wie wir sehen werden) mit anderen Arbeiten die Wahrnehmungsmuster von uns allen. Wie sehr haben wir uns an die realistische Fiktion der Werbung gewöhnt. wie sehr glauben wir an die »authentische« Wiedergabe von Nachrichtenbildern. Die Bilder von Gaffrons geben sich mit dieser virtuellen, vermittelten Realität nicht zufrieden. Gleichzeitig reflektiert er mit seinen Arbeiten das künstlerische Medium, mit dem er arbeitet, das der Fotografie. Mit einem ganzen Bündel ästhetischer Strategien, die von Gaffron über die Jahre durch Erfahrung und durch Erforschung der technischen Möglichkeiten der Fotografie mehr und mehr verfeinert hat, stellt er den Authentizitätsanspruch von Fotografie immer wieder in Frage. Neben Schärfen und Unschärfen, leeren (farbigen, weißen oder schwarzen) Bildflächen, Verdichtungen, Spiegelungen, Licht und Schatten, »komponiert« von Gaffron einzelne Bilder zu Bildsequenzen, zu Tableaus. Komponiert deshalb, da einzelne Bilder einer Serie durchaus in unterschiedlichen »Tonfolgen« in verschiedenen Tableaus wiederkehren können. So existiert das erste »Rosenbild« zum Beispiel in einer 4teiligen und einer 6teiligen Version, die Bildtapete der zweiten Arbeit findet sich in weiteren Sequenzen wieder. Hier wird deutlich, dass das einzelne Motiv für Gaffron ästhetisches Material ist, das in einem zweiten Schritt zu einer neuen, anderen Bildrealität zusammengestellt wird. Durch Serie, Sequenz, Inszenierung wird der Blick des Betrachters zusätzlich von den fotografierten Gegenständen weg auf die ästhetische Bildwirklichkeit der künstlerischen Arbeiten gelenkt.
 
Bei einer 9teiligen Fotoarbeit aus dem Jahre 1999 wird die Neugierde des Betrachters von drei dunkelroten kleinen Kreisen angezogen, die in einer imaginären Verbindungslinie eine Diagonale durch das Tableau bilden. Dass die Diagonale nicht von unten links nach oben rechts in 45 Grad verläuft, sondern etwas steiler nach oben in die leere Wandfläche schießt, bewirkt, dass die das Bild umgebende Architektur mit einbezogen wird. Das Bild ruht nicht in sich, der rechte obere Kreis ist kein Schlusspunkt, sondern der Punkt, von dem der Betrachter die imaginäre Linie in den Raum weiter entwickelt. Der Blick läuft ins Leere und wieder zurück zum Bild, in dem er nun erkundet, ob und welche Geschichten dort erzählt werden.
 
Die roten Kreise sind bei näherer Betrachtung erneut Rosen, die diesmal auf einem unscharfen grünen Untergrund angebracht sind. Gräser sind zu sehen, auf denen Licht und Schatten tanzen, wodurch sich der Untergrund als Waldboden zu erkennen gibt. Und schon ist der Betrachter wieder Teil eines raffinierten Spiels um Schein und Sein, ist nicht mehr nur distanzierter Betrachter, sondern bewusst kalkulierter Teil bei der Erschließung des bildnerischen Geschehens Der Protagonist des ästhetischen Spiels weiß um die Fremdartigkeit einer Rose im Wald. Sie kann dort nicht wachsen, es muss sich also um eine abgeschnittene Rose oder um eine künstliche Rose handeln, die dort bewusst hingelegt wurde. Die Rose ist nicht nur Symbol für die Liebe, sondern auch für Tod und Paradies. Im Volksmund wurde der Friedhof auch als Rosengarten bezeichnet. Die abgeschnittene, tote, oder die künstliche Rose, verteilt wie Blutstropfen auf modrigem Waldboden ... Die abgebildeten Rosen wirken zudem aufgrund ihrer Unschärfe und aufgrund des oszillierenden Untergrunds ausgesprochen flüchtig. Diese Flüchtigkeit wird durch die Wiederholung betont. Der Betrachter fängt an, die Bildtafeln untereinander zu vergleichen, traut seinen Augen nicht, versucht die verschiedenen Bildschichten des Waldbodens zu durchdringen. Es tun sich imaginäre Räume auf zwischen Sichtbarem, Noch-nicht-Sichtbarem und Nicht-mehr-Sichtbarem, zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, zwischen Geburt, Leben, Liebe, Schmerzen und Tod. Doch wie die Dinge (künstliche Rosen) nur Stellvertreter für Realität sind, die in den Arbeiten häufig in Auflösung und Verflüchtigung die sinnenhafte Realität verschwimmen lassen, bleiben die Arbeiten Gaffrons rätselhaft.
 
Die Dialektik von Leben und Tod und von Lachen und Weinen hat von Gaffron schon einmal in einer Arbeit aus dem Jahre 1993 verarbeitet. Zwei schwarze Masken auf weißem Untergrund verweisen als die Lachende auf die Komödie, als die Weinende auf die Tragödie. Die Dialektik wird durch das kontrastierende Schwarz und Weiß verstärkt, in ihren äußeren Schemen erinnern die beiden Masken zudem an das Yin und Yang-Motiv asiatischer Philosophien. Diesen Masken steht eine Steige, gefüllt mit Äpfeln gegenüber. Das Symbol des Apfels ist wie das der Rose ambivalent und steht sowohl für Fruchtbarkeit und Leben als auch für Tod.
 
Die Früchte von meist wilden Rosen - Hagebutten - tauchen in einer ebenfalls etwas älteren 9teiligen Arbeit aus dem Jahre 1995 auf. Im Bildmittelpunkt steht mit gespreizten Beinen ein Mensch, weder der Oberkörper, noch der Kopf sind zu sehen, lediglich Teile der Beine, ein schwarzer Slip. Davor ein weißes Tischchen: ein geöffneter Eierkarton mit einigen roten Früchten, eine Maske, die in Richtung des fotografierten Menschen schaut. Daneben zwei Bildmotive mit einer Silhouette eines Menschen vor einem weißen LKW-Anhänger, dahinter vorbeihuschende weiße und rote Lichter, vermutlich die Lichter vorbeifahrender Autos. Oben und unten werden diese Aufnahmen gerahmt von dunkelroten Hagebutten vor dunklem Hintergrund, man assoziiert Wald, Gestrüpp und Nacht. Eine Glas- oder Metallplatte schiebt sich von links nach rechts immer deutlicher in den Vordergrund, um sich dann wieder in unscharfen Bildern zu verflüchtigen. In der unteren Bildfolge rückt ein kleiner, dürrer Kiefernzweig ins Blickfeld, der zusammen mit den grellen, aufblitzenden Lichtern an eine Zündschnur erinnert und so die spannungsgeladene Atmosphäre unterstreicht.
 
Ein entindividualisierter Schattenmensch, der einmal in und einmal aus dem Bild schaut, ein kopfloser Mensch, der von einer Maske betrachtet wird, und alles wird wiederum vom Bildbetrachter angeschaut, der geradezu voyeuristisch teilnimmt an dieser erotisch aufgeladenen Bildfolge: die prallen, roten, geilen Früchte, die gespreizten nackten Schenkel. Die Atmosphäre wirkt zugleich bedrohlich und gewaltsam, vielleicht sind dies die Bilder eines Krimis, in dem ein Gewaltverbrechen stattgefunden hat, vielleicht ist der Betrachter aber auch mitten in einem Alptraum, in dem er, den Blick auf den Boden geheftet, durch einen nächtlichen Wald vor den bedrohlichen Schatten flüchtet. Jedenfalls ist er Teil der Dialektik von Beobachten und Beobachtet-Werden, die Teilnahme an der Rekonstruktion des Bildes nimmt er geradezu körperlich-bedrohlich war.
 
Macht und Gewalt gehen in der Bildwelt Klaus von Gaffrons häufig einher mit Sexualität. In einem Triptychon aus dem Jahre 2000, dessen drei Bildteile in ein unrealistisches, mystisches Blau getaucht sind, das von vorne herein einen Vergleich mit der Realität ausschließt, erhebt sich aus amorph geformten Zellen ein Phallus. Die Bildteile links und rechts davon greifen das Phallus-Motiv auf und variieren es. Und wieder betont Klaus von Gaffron die Ungreifbarkeit sinnlicher Wahrnehmung und verweist auf die Bedeutsamheit der individuellen Betrachtererfahrung. Man kann, muss aber nicht, bei näherem Hinschauen zwei Moränen erkennen, die auf der linken und rechten Bildtafel nach oben ins Bild streben. Dieser Raubfisch wirkt allein durch sein Aussehen gewaltsam und gefährlich. Ganz in der Fortführung der mittelalterlichen Erzählform Triptychon, verweist hier ein Bild auf das andere, wird die gestellte Thematik variiert, fortgeführt und vertieft: Der Phallus in der Bildmitte, der monolithisch Macht und Gewalt demonstriert, wird durch die Aggressivität der Muränen in seiner Aussage verstärkt.
 
Der Fisch in seiner phallischen Ausdeutung in Konnotation mit Macht ist auch in einer 7teiligen Fotoarbeit von 1993 zu erkennen. Zwölf blaue (Plastik-Deko)-Fische tummeln sich vor neutralem Hintergrund (jedenfalls nicht im Wasser) um vier leere, zusammengeschobene Tische mit zehn leeren Stühlen. Das Ensemble erinnert an einen Konferenztisch. Die Kopfseite, die dem Betrachter zugewandt ist, ist in einen schwarzen Schatten getaucht. Es bleibt unklar, ob sich hier ebenfalls noch zwei Stühle befinden. Der Blick des Fotografen jedenfalls lenkt den Blick des Betrachters an diese Stelle, an der er geistig Platz nimmt. Zwölf Fische, gruppiert um einen Tisch, um den zumindest theoretisch zwölf Stühle stehen könnten. Vor dem Hintergrund, dass der Fisch als Heils- und Erkennungszeichen in den Katakombenmalereien der frühen christlichen Kultur eine bedeutende Rolle spielte, kann auch das christliche Abendmahl assoziiert werden.
 
Wie schon bei Rose und Apfel greift Klaus von Gaffron mit dem Fisch auf ein Symbol zurück, dass sowohl auf Leben als auch auf Tod verweisen kann. In einer 3teiligen Arbeit aus dem Jahre 1999 bewegt sich ein Fisch in einer Umgebung, die sich als Urwald von Kartoffeltrieben herausstellt. Es kann sich also wieder nur um einen künstlichen Fisch handeln, der sich zwischen den vertrocknenden, schrumpfenden und somit vergehenden Kartoffeln bewegt, die jedoch im Absterben die Triebe für neue Pflanzen austreiben. Neben dieser inhaltlichen Ebene des Verweises auf die Gleichzeitigkeit von Leben und Tod ist aber auch das Gesamtthema Klaus von Gaffrons wieder virulent: »die Auseinandersetzung mit Alltagsdingen und die Veränderung dieser durch fotografische Mittel« (Klaus von Gaffron). Und wieder wird dem Betrachter sehr bewusst, dass er der vermeintlichen Authentizität von Bildern nicht Glauben schenken darf.
 
Auch in der 9teiligen Arbeit, in der sich sehr rasch ein Fisch von links nach rechts zu bewegen scheint, wird bei näherer Betrachtung erkennbar, dass sich hier ein künstlicher Fisch in künstlicher Umgebung befindet. Die den Fisch umgebende Flüssigkeit ist zu grün, um Wasser zu sein. Ein real existierender Fisch könnte in dieser Umgebung nicht leben.
 
In den von Klaus von Gaffron inszenierten Wirklichkeiten, wird dem Rezipienten vor Augen geführt, dass er Natur häufig nur noch vermittelt erfährt. Diese reduzierten Erfahrungen von Natur, die sich in Plastikblumen, Dekofischen und Werbeaufnahmen bis hin zum Hineinholen von Natur im Tapetenbild in den Bildern widerspiegeln, verdrängen zunehmend unsere wirklichen Erfahrungen. In der veränderten Wahrnehmung von Natur findet zugleich eine Veränderung des Naturbegriffs statt, die Klaus von Gaffron kritisch hinterfragt. In dem Spiel von Sein und Schein werden die Wahrnehmungsmodi des Betrachters trainiert und differenziert. Klaus von Gaffron baut Sehbremsen, visuelle Störfaktoren in seine Arbeiten ein, um von einem »zerstreuten Sehen« (Walter Benjamin) zu einem bewussten Sehen zu führen.
 
März 2001