Fotobilder 2001

Von der Fotografie zum autonomen fotografischen Bild
 
Dieter Hinrichs
 
»Photographie als Kunst« hieß der erste Teil einer Ausstellung, die Peter Weiermair 1979 in Österreich produziert hatte. In ihr waren die wichtigsten Fotografen von David Octavius Hill bis Lees Friedlander vertreten, die sich im klassischen Sinn mit der Fotografie als gestalterisches und künstlerisches Medium auseinandergesetzt hatten. Man könnte auch von der klassischen Fotografie im Passepartout sprechen, wenn man von ihrer gängigen Präsentationsform ausgeht. Diesem Ausstellungsteil stellte Weiermair einen zweiten Abschnitt mit dem Titel »Kunst als Photographie« gegenüber, in dem Künstlernamen wie Hermann Nitsch, Arnulf Rainer, Jürgen Klauke, Gilbert & George, John Hilliard, Valie Export und Bernhard Blume auftauchen, die in der klassischen Fotoszene weniger bekannt waren. Ein Teil dieser Künstler hatte die Fotografie von Kunstrichtungen wie Happening, Body-art, Performance, Concept-art oder Land-art kommend in den 1970er Jahren neu entdeckt. Sie hatten die Fotografie zunächst zur Dokumentation ihrer Aktionen verwendet und nicht in erster Linie im Sinne eines künstlerischen Gestaltungsmittels, wie die Fotografen, welche die Grenzen ihres Mediums anerkannten.
 
Schon Ende der 1950er und vor allem in den 1960er Jahren bedienten sich Künstler der sogenannten Pop-art, wie Richard Hamilton, Robert Rauschenberg und Andy Warhol konzeptionell der Fotografie, indem sie Medienbilder der Idole jener Zeit als lkonen in ihren z.T. in seriellem Siebdruck ausgeführten Arbeiten verwendeten. Mit fotografischen Vorlagen, Zitaten und Fakten aus zweiter Hand, die sie den Massenmedien und der Werbung entnahmen, präsentierten sie uns in ihren Bildern eine gebrochene Wirklichkeit. An den fotografischen Verfahren selbst waren die Künstler zu dieser Zeit kaum interessiert. Erst die 1970er Jahre standen bei vielen bildenden Künstlern im Zeichen einer analytischen Aneignung, d.h. sie untersuchten zunächst die fotografischen Gestaltungsmöglichkeiten auf ihre inhaltliche Aussagekraft. Dabei stellten sie den sogenannten Wahrheitsgehalt der fotografischen Bilder in Frage und näherten sich dem Medium skeptischer, als dies viele Fotografen vor ihnen taten. Der britische Künstler John Hilliard spielt z.B. mit den unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten und irritiert den Betrachter, indem er ein Foto von einem Wasserfall neben einer Felswand mit statischer Kamera und Langzeitbelichtung neben ein Foto mit dem gleichen Ausschnitt, allerdings mit mitgezogener Kamera abbildet, so daß nun der Felsen fließend und das Wasser statisch dargestellt ist. Eine vergleichsweise Aneignung der fotografischen Mittel durch Künstler hatte es schon in den 1920er Jahren gegeben, als Künstler des Bauhauses wie Laszlo Moholy-Nagy oder die Dada-Künstler wie Man Ray die Fotografie auf unkonventionelle Weise im experimentellen Sinn erweiterten. War es damals die euphorische Annahme eines technischen Mediums für avantgardistische Experimente und die Erprobung neuer Sehweisen, so ist es in den 1970er Jahren eher ein skeptischer Umgang mit ihm. Fotografie dient in der Folge den Künstlern als Mittel zum Zweck, um komplexe Denkprozesse freizusetzen, oft in bewußt kunstloser Form. Insofern unterscheiden sich die zeitgenössischen Künstler auch von denen der klassischen Fotografie, denen es stärker um eine subjektive Inbesitznahme der Welt, also um Interpretation und weniger um Neuerfindung ging. Statt direkten Bezug auf äußere Realitäten zu nehmen, schaffen die Bilder der Künstler ihre eigenen Bildwelten.
»Reste des Authentischen« war dann 1986 der Ausstellungstitel im Museum Folkwang, unter dem Ute Eskildsen eine jüngere Generation von fotografisch arbeitenden Künstlern wie Rudolf Bonvie, Dörte Eissfeldt, Astrid Klein und Michael Schmidt vorstellte. Obwohl sie auf unterschiedliche Weise Fotografie als persönliches Ausdrucksmittel einsetzen, hat sich bei ihnen das Bewußtsein für visuelle Wahrnehmungsprozesse geschärft. Der Verweis auf Realität ist im Schwinden begriffen, Lösungen werden im Bild auf autonome Weise gelöst. Die Wirklichkeit äußert sich mehr und mehr in sich auflösender Zeichenhaftigkeit und suggestiver Bildaussage.
 
Die Entwicklung von der aktionistischen Kunstpraxis während seines Studiums an der Akademie der Bildenden Künste in München (1973 - 1978) zum autonomen fotografischen Bild ist auch im Werk von Klaus von Gaffron nachvollziehbar. Sehr bald steht für ihn der direkte fotografische Wahmehmungsprozess im Vordergrund seines Schaffens. Seine mehrteiligen Arbeiten, oft in blau umgefilterter distanzierter Farbskala, im Spiel mit einer sich in Unschärfe auflösenden Dingwelt schaffen neuartige Bildräume, erzählen Geschichten voller gebrochener Poesie. Durch serielle Präsentation entwickeln sich darüber hinaus Rhythmus und Dialog, Vergleichbarkeit von kaum wahrnehmbarer Verschiebung der Bildebenen. Trotz spontaner Aufzeichnung der Einzelbilder unterliegen die zusammengefaßten Tableaus einer strengen Bildeinheit. »Die Dinge«, die in den 1920er Jahren bei Albert Renger-Patzsch noch in neusachlicher aber ungewohnter Nähe und Perspektive deutliche Suggestionskraft besaßen, erschließen sich bei Klaus von Gaffron in unserer Zeit als Metamorphosen, die unseren Blicken schemenhaft entgleiten. Der Betrachter kann sich seiner Sache nicht mehr sicher sein; Mehrdeutigkeit und Täuschung ist angesagt. Sind es die Gegenstände, die wir in ihrer fragmentarischen Wiedergabe erahnen können: Naturformen, Blüten, Früchte, Textilien oder wird der Rezipient mit synthetischen, aus Kunststoff geformten Objekten aus der Konsum-, Werbe- und Warenwelt konfrontiert? Skepsis ist die Reaktion, die unsere Aufmerksamkeit schärfen kann.
 
In Klaus von Gaffrons Fotoarbeiten wird uns vor Augen geführt, wie unser Wahrnehmungsbewußtsein durch Kunst sowohl auf fotografische wie auf die reale Wirklichkeit zu einer kritischen Sicht angehalten wird.
 
April 2001