Fotobilder 2001

 Zwischen gesellschaftlicher Intervention und ästhetischer Irritation
 
Patricia Drück
 
Nicht erst verstärkt seit dem Golfkrieg wird auf breiterer Ebene die Fragwürdigkeit von fotografischer Realität diskutiert. Dieses Ereignis führte jedoch deutlich vor Augen, wie perfekt - in diesem Fall hauptsächlich von dem Medienkonzern CNN - die Berichterstattung gesteuert wurde, da nur die vom amerikanischen Militär als unverfänglich abgesegneten Bilder und Statements zur Veröffentlichung freigegeben wurden - mit der Konsequenz der Ausblendung der Realität zugunsten eines Sciencefiction-ähnlichen War Games im Computer. Gaben die Medien bis dahin vor, Wirklichkeit objektiv abzubilden, wurde einmal mehr offensichtlich, daß ihre Reportagen doch nur dem Diktat der Unterhaltung, des »infotainments« folgen - als Konstruktion am Rande der Fiktion. Die gezeigten Ereignisse werden zu reinen »media events«, eigens für die Kamera nach den Gesetzen der Fotogenität inszeniert. Der anfänglich unterschiedene, kategoriale Gegensatz von Dokumentieren und Inszenieren, Schein und Wirklichkeit wird aufgehoben. Für Klaus von Gaffron ist dies ein essentielles Thema: 1991 stellt er im Keller der Künstlerwerkstatt Lothringerstrasse in München die Installation »Nachtstücke« aus. Darin konfrontiert er die innerhalb eines kurzen Zeitraumes vom Fernsehbildschirrn abfofografierten Börsennotierungen mit Nachrichtenmeldungen und Live-Videomitschnitten der Kriegsberichterstattung. Die Ungreifbarkeit der Information sowie ihre »Gemachtheit« und Abhängigkeit von globalwirtschaftlichen Zusammenhängen wird entlarvt, verstärkt durch die Vorführung der Vermitteltheit des fotografischen Bildes, jedoch gebrochen durch die beklemmende Wirkung des Präsentationsortes, der einem Schutzraum gleicht. Weitere Fotobilder lassen nur abstrakte Muster regelmäßiger schwarzer Rasterpunkte erkennen, die mit der Ambivalenz mediengenerierter Bilder spielen, in ihrer formalen Beschaffenheit aber auch an einen Bombenhagel erinnern. Im darauffolgenden Jahr zeigt Klaus von Gaffron mit »Rückstand« die Installation in veränderter Form, legt aber den Schwerpunkt mehr auf den kommerziellen Aspekt des »media events« Golfkrieg. Auf großen Paletten, als wären sie direkt vom Verlag druckfrisch geliefert, türmen sich verschnürt wie Bombenpakete die unmittelbar nach dem Ereignis erschienenen Bücherfluten zum Golfkrieg: Ein ironischer Kommentar zur kommerziellen Verwertbarkeit des Ereignisses aber auch zur unbewältigbaren und unkontrollierbaren Informationsflut.
 
Das Schaffen von Klaus von Gaffron versammelt ein Spektrum künstlerischer Ansätze und Themenfelder, die sich nicht auf einen einzelnen Kunstbegriff reduzieren lassen. Es handelt sich hierbei im weitesten Sinne um gesellschaftsbezogene Kunstpraktiken: Ob es die Bloßlegung der Mechanismen der Medien und der Werbung, die Untersuchung der sozialen Machtstrukturen oder der Auswirkungen des Zivilisationsprozesses sind, die Herstellung und Befragung von gesellschaftlicher Wahrheit stellen einen wichtigen Aspekt seiner Arbeitsweise dar. Geprägt von konzeptuellen und aktionistischen Kunstströmungen der 70er Jahre wie der Fluxus- und Happening-Bewegung oder dem rituellen Aktionismus eines Joseph Beuys umschreibt Klaus von Gaffron seine Arbeit mit »Position beziehen ohne peinlich zu werden«. Dafür setzt er verschiedenste Mittel der Verfremdung und ästhetischen Irritation ein. Anfänglich mit der malerischen Auflösung der Gegenstände durch festgehaltene Bewegung beschäftigt, findet er bald in der Fotografie ein geeignetes Ausdrucksmedium und adaptiert Klischees aus einer vorgefundenen Bilderwelt oder stellt aus inszenierten Einzelbildern Fotosequenzen zusammen. Jedes Bild erzählt für sich eine Geschichte, in der Serie oder Anordnung als Tableau erweitert sich wiederum der Gehalt der einzelnen Fotos. Diese experimentieren systematisch mit dem visuellen Objektivismus und dem authentischen Informationsgehalt der Fotografie und durchlaufen in Kombination eine kompositionelle Dynamik, um oberflächliche Bedeutungen zu hinterfragen: »Wenn das Visuelle uns daran hindert, etwas zu sehen (weil es dem Decodieren, dem Entziffern, kurz: dem Lesen den Vorzug gibt), so fordert uns das Bild immer heraus, es mit einem anderen, mit dem anderen zu montieren. Denn das Bild hat (...) etwas Unvollendetes, Aufgerissenes, offen Klaffendes."   1
 
Das alltägliche, scheinbar triviale Leben bietet Klaus von Gaffron genügend Stoff. In ironisch gebrochener Reflexivität wird es oft mittels subtiler Bildkommentare einer politisierten Dimension zugeführt, hinter der weniger die Absicht der Veränderung des Kunstbetriebs steckt als das Abzielen auf die gesellschaftliche Verantwortung des Einzelnen. Das aus neun Bildern zusammengesetzte, fotografische Tableau »Ich war nie ein guter Indianer« aus dem Jahre 1990 für eine Ausstellung des Kunstvereins Rosenheim setzt an dieser Stelle an: Mit billigem Faschingsschmuck als Indianer verkleidet, inszeniert sich der Künstler selbst als Protagonist einer allgemein bekannten Kaugummiwerbung, die von Patriotismus und Freiheit geprägte Werte der amerikanischen Gesellschaft transportiert. Dieser Farbaufnahme stellt er nostalgisch anmutende Porträtfotos in Schwarzweiß von der nordamerikanischen Urbevölkerung aus dem 19. Jahrhundert gegenüber. Entstanden diese Bildnisse ursprünglich in dem Bestreben, das »Fremde« und »Exotische« zu inventarisieren, so fasst Klaus von Gaffron hier gerade überkommene Kriterien und Klischees unter dem Aspekt des Vergessenen, Ausgegrenzten und Übersehenen wieder in den Blick vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Bedeutungen nicht vorgefunden oder vorausgesetzt, sondern diskursiv produziert werden. Besonders in den USA spitzte sich seit Beginn der 80er Jahre ein solches Bewußtsein zu, das in den »Cultural Studies«, der »gender«-Debatte, dem Aids-Aktivismus und Kampf für ethnische und gesellschaftliche Minderheiten Ausdruck findet. So bedeutet das Leben in einer Gesellschaft für Klaus von Gaffron auch die Produktion von kritisch reflektierender und gesellschaftlich engagierter Kunst, die Autoritäten befragen und Meinungen beeinflussen will: »Diese Fragestellungen zielen auf etwas anderes als die beliebte Leerformel, dass Kunst mehr Fragen aufwerfen als beantworten soll. Ohne Antworten wird sie nicht auskommen. Antworten als Repositionierung innerhalb möglicher Handlungsfelder, Reformatierung von Präsentationsformen und Resistenz gegenüber Funktionalisierung, auch wenn sie sich als Allianz anbieten mag.«  2
 
Es ist dies auch der Grundgedanke, der die für den Steirischen Herbst 1991 entstandenen Arbeiten kennzeichnet. Die Annäherung des Fremden an eine bestimmte Region prägt den Beitrag für die Ausstellung »Mit dem Roten Blitz in die schöne Weststeiermark«, welche unauflösliche Widersprüche formuliert. Vier querformatige Fototafeln adaptieren den Schriftzug »Mit dem Roten Blitz«, welcher sich auf den Zug bezieht, der - ganz im Gegensatz zu seinem Namen - gemächlich viele Jahre lang Reisende in die abgelegenen Gebiete der Steiermark brachte. Statt idyllischer Landschaft offenbarte sich Klaus von Gaffron jedoch bei der Annäherung an die Region eine touristisch erschlossene, kartographierte, vermessene und in Besitz genommene Landschaft, statt unberührter Natur fand er eine zersiedelte Landschaft vor. So konfrontierte er für seine Installation zwei nicht gänzlich ohne zivilisatorische Spuren auskommende, jedoch trotz allem idyllische Landschaftsaufnahmen mit Ausschnitten aus Bebauungsplänen und abfotografierten Wanderkarten. Weitere Bildkombinationen bringen auf den Punkt, was ihm bei der Auseinandersetzung mit dem Ort ins Auge fiel: Abfotografierte Reklametafeln, die für einen »Blitzkredit« werben, eröffnen ein einprägsames phonetisches Spiel mit dem »Roten Blitz«, erinnern aber auch in fataler Weise an »Blitzkrieg«. Kombiniert mit fröhlich und zuversichtlich von Werbeplakaten lachenden Österreichern, die für den verwirklichten Traum vom Eigenheim oder der eigenen Existenz stehen mögen, wird hier jedoch ein ironisch-bissiger Kommentar zum Ausverkauf der Landschaft geboten.
 
Fast ein Jahrzehnt später greift Klaus von Gaffron in einer 3teiligen Fotoarbeit für »Grenzüberschreitungen« (2000) in Selb die Wandlung der Landschaft zum teilprivatisierten konsum- und dienstleistungsorientierten Raum wieder auf. Bei der Untersuchung der Frage, wie diese als öffentlicher Raum konstruiert ist, fiel ihm auf, daß es kaum Lücken gibt, daß die durchgestaltete Landschaft überfüllt ist mit Zeichen und Symbolen der Geschichte, des Konsums und der Werbung, vor allem aber des Tourismus. Seine künstlerische Intervention dringt zunächst hinter die Konstitution der kleinstädtischen Fassade: »Die Oberbürgermeisterin« bezieht sich auf die geschlechtsspezifisch definierten Strukturen von Macht in einer männerdominierten Gesellschaft. Die Stadtoberste posiert für das Foto vor Bildern bisheriger Amtsinhaber, was sie zwar als Frau in einer Männerdomäne herausstellt, sie jedoch schon aufgrund ihrer Pose auch wieder zum Teil der bestehenden Machtstrukturen werden läßt. »Ein Nachmittag in Selb« dagegen veranschaulicht profane urbane Realität, der Fotograf kombiniert die Ausschnitte offener oder geschlossener Münder von Bewohnern der Stadt, die für ihn beim Gang durch die Straßen die typische Kleinstadtstimmung verkörperten. Der »Waldspaziergang« als Spurensicherung verdichteter Wahrnehmung schließlich stellt der Stadt und der Zivilisation den Wald als unheimliche, aber auch romantische Metapher gegenüber.
 
Ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch das Schaffen zu ziehen scheint, ist die Polarisierung von Natur und Kultur oder die Darstellung der ihrer Natürlichkeit beraubten Natur. Auf die Spitze getrieben wird dies in einer Ausstellungsbeteiligung für »rosegarden«, ein Gemeinschaftsprojekt im öffentlichen Raum der Städte Landshut, Rosenheim und Salzburg (2000). Der Garten als Allegorie des Paradieses, aber auch der »Garten als Modell und zugleich Fiktion für Kunst- und Lebensbedingungen« 3   wird hier im Stadtraum, dem Landshuter Hofgarten, vom »Künstler als Gärtner« thematisiert. Als Wahrnehmungstäuscher treten Klaus von Gaffrons chamäleonartig sich in ihre Umgebung einfügenden Blumenrabatten aus Plastik auf, gleich einem ironischen Kommentar zur Zukunft eines schließlich nur noch Naturillusion vortäuschenden Gartens. Gärten sind immer noch utopische Welten, in denen paradiesische Weltflucht und Einheitsgefühl von Mensch und Natur kulminieren und auf die romantische Rolle der Natur in unserer Kultur verweisen. Hier jedoch wird Künstlichkeit direkt in die Natur implantiert, Mensch und Natur zeigen sich nicht länger miteinander verbunden. Die hybride Form des ursprünglichen Gegensatzpaares Natur-Kultur läßt zudem die Definition, was und wo Natur ist, heute immer schwieriger werden. Fragen zu den materiellen Grundlagen des Lebens stellen sich für Klaus von Gaffron immer wieder neu. Dies bezeugen Foto- und Videoarbeiten vom Kreislauf und Verfall der Natur wie jüngst »Bienensang« (München 2001). Der süßliche Geruch einer verfaulenden Frucht lockt hauptsächlich Bienen, aber auch Wespen und Schmeißfliegen an. Das emsige Geschehen im gleichbleibenden Bildausschnitt des Videofilmes ist durch das Kommen und Gehen der Insekten von unvorhersehbarer Dramaturgie geprägt. Obwohl die Bienen nicht bei ihrer »nützlichen« Bestimmung der Befruchtung von Pflanzen gezeigt sind, werden sie hier doch als Bestandteil des Naturkreislaufes geschildert und stehen symbolisch für das Werden und Vergehen der Natur. Die in einem weiteren Schritt entstandenen Fotobilder irritieren wiederum durch ihre organische, fast endoskopisch anmutende Wirkung, welche durch verschiedene Verfremdungsmomente bedingt ist, die sich durch das Abfotografieren vom Monitor und den Einsatz eines Kunstlichtfilmes ergeben. 

Die Arbeit mit Licht und Schatten - ganz im Sinne der ursprünglichen Bedeutung von Fotografie als »Lichtbildnerei« - sind wichtige Kriterien der Fotografie Klaus von Gaffrons. Gesteigert wird dies noch durch den Einsatz von Leuchtkästen zur Präsentation der Abzüge wie bei »Kunst in der Himmelsfahrtskirche« (München 2001). Als Medium ursprünglich aus der Werbung stammend thematisieren sie hier im sakralen Raum verteilt die luzide Grenzüberschreitung vom Bild zum Raum. Die Leuchtbilder sind durch Licht- und Schatteneffekte sowie festgehaltene Bewegungsstrukturen bestimmt und bestehen rein durch ihre spezielle Oberflächentextur, verweigern aber ansonsten ihren Informationsgehalt. Hier wird wiederum deutlich, dass Klaus von Gaffron nicht im abbildenden Sinne des Dokumentierens fotografiert, sondern gezielt die ästhetischen (Un-) Möglichkeiten des Mediums wie Blicklenkung, Lichtspiele, Schärfe/Unschärfe und die Betonung von Materialbeschaffenheit und -oberflächen einsetzt. 
Der formale Zugriff ist also entscheidend: Er schiebt sich als ästhetische Irritation zwischen das Gezeigte und den Betrachter und bildet neben den Strategien der gesellschaftlichen Intervention einen wichtigen Bestandteil im Schaffen des Künstlers. Das Foto kann mit dem, was es zeigt, nicht verwechselt werden, dem Betrachter wird sein eigenes Sehen, das, was und wie er sieht, bewußt gemacht. Das Foto informiert nicht nur über das Fotografierte, sondem auch über den Fotografen, denn dieser stellt das, was er zeigt, gleichzeitig erst her. All diese Grundsatzfragen werfen Klaus von Gaffrons Bilder erneut auf, beziehen dazu Stellung. Dabei konterkarieren die Bilder die Hochglanzästhetik der Werbefotografie, da sie auf viele Potenziale heutiger fotografischer Technik, z. B. die digitale Retusche, gänzlich verzichten und sich vielmehr auf die elementaren Eigenschaften des fotografischen Mediums konzentrieren. Ob Verwackelungen, Unschärfen und die dadurch entstehenden Verzerrungen und Deformationen oder farbliche Verfremdungen - die fotografische Freiheit zu solch mediumistischen Spielen mit der vorgefundenen Realität verweist auf ein Selbstverständnis im Medium Kunst, das frei von Abbildungszwang ist. Die Frage, ob es sich um Fotografie oder Kunst handelt, ist hier nicht die entscheidende, steht doch der hohe Reflexionsgrad des Zugriffs, der zum Nachdenken provoziert und die Essenz des Fotografischen verstärkt, im Vordergrund. Klaus von Gaffrons Bilder können demnach als Inzenierungen des Sehens, der Wahrnehmung, des Sich-auf-Orte-Einlassens und In-der Welt-Seins verstanden werden. 
 
1   Chevrier, Jean-Fracois/David, Catherine: Die Aktualität des Bildes, zwischen den Schönen Künsten und den Medien. In: documenta documents 2, Stuttgart 1996, S. 52.
2  Rollig, Stella: Im Außendienst. In: Dream City. Ausst.-Kat. Kunstraum München, Kunstverein München, Museum Villa Stuck, Siemens Kulturprogramm, München 1999, S. 35.
3  Vgl. hierzu auch die Untersuchungen von Bianchi, Paolo: Modern Nature: Künstler als Gärtner. In: Kunstforum International, Bd. 145, Mai-Juni 1999, S. 43.