Abenteuer Wohnzimmer

Tsunami

Text von 2005

Dr. Susanna Partsch
 
Tsunami   Das Wort Tsunami ist seit dem Seebeben vom 26. Dezember 2004 allen geläufig. Kurz zuvor, in seinem in demselben Jahr erschienenen Bestseller Der Schwarm musste der Autor Frank Schätzig das Wort noch erklären. Er beschreibt das Phänomen als das schlimmste aller Meeresungeheuer, das seinen Namen den japanischen Fischern verdankt, die bei ihrer Arbeit auf hoher See nichts von dem wild gewordenen Meer spürten, bis sie nach Hause kamen und dort verwüstete Dörfer, zerstörte Häuser, keine Überlebenden vorfanden. Es war das Werk der "Welle im Hafen", des Tsunami, wobwi Tsu Hafen bedeutet, Nami Welle. 

Diese "Welle im Hafen" traf am 26. Dezember 2004 die Küstenstädte und Inseln Südostasiens mit vollerWucht, breitete sich aber auch bis zu den entfernteren Küsten Ostafrikas aus. Fast 300 000 Menschen starben, darunter auch viele Touristen, die über Weihnachten ins Taucherparadies gefahren waren. Namen wie Khao Lak, vorher nur Thailand-fans bekannt, waren nun in aller Munde. Um sich Katastrophen anzuschauen, musste man nicht mehr Filme wie Deep Impact oder Day after tomorrow bemühen, man bekam sie frei Haus - entweder im Fernseher oder aber direkt vor Ort. 

Das klingt natürlich zynisch, ist auch so gemeint, denn die "zivilisierte" Welt stand zwar bereit zu helfen - es waren ja auch die eigenen Leute, die Urlauber, betroffen - dennoch war (und ist) diese Hilfsbereitschaft auch im eigenen Interesse, denn man wollte ja auch sein Paradies zurückhaben.

Mit eben diesem Paradies und seiner Zerstörung setzt sich Klaus von Gaffron in seiner Installation in Bruckmühl auseinander. Ein kleiner Raum ist mit einer Fototapete an zwei Wänden tapeziert: ein sich wiederholendes "Muster" aus Grün und Weiß, verwischt und unscharf, auf der man Palmzweige und undeutlich eine Welle erkennt. Auf dem einzigen Sessel in der ecke neben dem Fenster kann der Besucher es sich gemütlich machen, vor der Tapete. Von hier aus hat er den besten Überblick. Man kann sich bequem in dem in seiner Nische an der gegenüberliegenden Wand stehenden Fernseher ein Video über die Unterwasserwelt in Südostasien anschauen, so wie man sie in den Ferien- und Taucherparadiesen, wie Khao Lak, in Thailand erleben kann.

Flankiert wird der Stuhl auf der einen Seite von einem grün gestrichenen ruunden Metalltisch, auf dem seiner Bestimmung gemäß ein Blumentopf mit einer grünen pflanze steht. Zwei weitere sind am Boden und der Heizung verteilt. Eine Kaktee steht auf einem kleinen Bord zwischen zwei dekorativen Wellensittichen. Auf der anderen Seite des Stuhls sitzt auf einer Plastiktüte eine aus Holz geschnitzte Echse, ein Leguan oder Waran, wie man sie in den Läden findet, die Asiatica verkaufen, oder in den Ländern selbst, in Läden für Touristen. Airportart nennen das die Ethnologen. "Kunst", die für den Tourismus hergestellt wird. Das ist längst eine wichtige Einnahmequelle für die Länder geworden, die mit ihrer "Ursprünglichkeit" Geld verdienen können, weil hier das Paradies zum Greifen nah scheint.

An der Wand gegenüber dem Fenster befindet sich eine verschlossene Tür, an deren Klinke eine Plastiktüte hängt, aus der noch eine Echse schaut. Vor der Tür krabbeln zwei weitere Echsen gerade aus ihren Plastiktüten, in die sie beim Kauf gesteckt wurden - es scheint zumindest so. Wollen sie sich eventuell von ihrer Aufgabe, Mitbringsel zu sein aus dem Paradies, befreien?

Mit diesem Paradies ist es sowieso nicht soweit her, jedenfalls nicht in dem Bruckmühler raum. Denn neben dem Sessel hängt ein Bild von zwei Bier trinkenden Touristen in Badehosen mit dicken Schmerbäuchen, die sich den vom Tsunami verwüsteten Strand betrachten. Hat man dann nmoch die aufgedunsenen Leichen am Strand gesehen, das Bild, das an dem freien Wandstück zwischen den beiden Türen hängt, sieht man auch die Tapete mit anderen Augen. Die auf den ersten Blick rein ästhetisch wirkende Tapete beunruhigt nun beim genaueren Betrachten. Es ist ein winziger Ausschnitt aus einem Bild der Tsunamiwelle, die gleich eine Palme entwurzeln wird. Ein Standbild aus einem dieser Amateurvideos, die kurz nach der Katastrophe über die Mattscheiben flimmerten und als Bilder in Illustrierten abgedruckt wurden.

Doch der Blickschweift immer wieder ab, saugt sich an der Mattscheibe des Fernsehers fest, denn eigentlich wollen wir nicht wahrhaben, dass uns auch dieses Paradies abhanden gekommen ist.

Es muss wieder auferstehen, muss für den Tourismus wieder verfügbar werden. Und so kann man auch im Internet lesen:
Khao Lak ist wieder da!
5 Monate nach dem Tsunami sind schon 24 Resorts im Raum Kaho Lak wieder fьr Touristen geöffnet, davon 5 Resorts direkt am Strand.

Die Fragwürdigkeit unserer Handlungen, unseres Wunsches, dieses Paradies wiederzuerlangen, ohne Rücksicht auf die dort lebenden Menschen, die durch den Tsunami kein Paradies, sondern - viel schlimmer - ihre Lebensgrundlage, ihre Freunde, ihre nächsten Angehörigen, verloren haben, macht Klaus von Gaffron auf sehr subtile Weise bewusst. Durch die Vergrößerung von Ausschnitten aus Fotografien entsteht ein Verfrendungseffekt, der die Betrachter zwingt, genauer hinzuschauen, die Katastrophe in all ihren Facetten zu begreifen. Und irgendwann wird es verdammt ungemütlich auf dem so bequem wirkenden Sessel.